Chronisches Schulter-Nacken-Syndrom

Eine 51jährige Frau kam zu mir in die Praxis mit schon seit langem bestehenden Schulter- und Nackenschmerzen auf der rechten Seite. Wenn sie den Arm über die Horizontale hob, traten die Schmerzen auf. Die Bewegung war auch in dieser Bewegung deutlich eingeschränkt (hohe Armhebung, Flexion).

In der Anamnese fand sich kein Trauma. Sie hat einen sitzenden Bürojob in Vollzeit.

Als Operationen im Bauchraum gab es eine Appendektomie und eine Not-Operation bei einer Eileiterschwangerschaft mit geplatzten Eileiter. Sie hat zwei Kinder bekommen bei normaler Gravidität und Geburt. Bei der osteopathischen Untersuchung des Bauchraums fielen neben einer Senkung der Harnblase und der Gebärmutter deutliche Verwachsungen im rechten Unterbauch auf.

Im Schulter-Nackenbereich auf der rechten Seite und im Thorax fanden sich verschiedene fasziale Störungen im Sinne von Verspannungen. Die Rippen 2-5 auf der rechten Seite zeigten Dysfunktionen in ihren Gelenken zum Brustbein. Der M. levator scapulae hatte rechts Triggerpunkte. Es gab keine Anzeichen eines Impingements.

Der deutlichere Befund befand sich für mich im Unterbauch rechts. Dort fing ich meine Behandlung an und arbeitete an den Organen (Harnblase, Uterus, Caecum, Dünndarm) mobilisierend und gegen die Senkung. Nach einer Weile bat ich die Patientin den Arm zur Kontrolle zu heben, das ging signifikant besser als vor der Behandlung. Ich arbeitete weiter am Abdomen und am Ende hatte sich die Armhebung in Flexion deutlich verbessert, fast bis an die Endgradigkeit heran. Als „Hausaufgabe“ gab ich ihr eine Eigenmobilisation für den Bauchraum auf. Die schulterumgebenden Befunde behandelte ich nur kurz, sie verbesserten in der ersten Behandlung die Armhebung nicht mehr spürbar deutlich. Allerdings gab es auch hier eine „Hausaufgabe“: Eine Selbstbehandlung des Triggerpunkts und eine funktionelle Übung zum Beüben der Armflexion.

Zur zweiten Behandlung, nach vier Wochen, kam meine Patientin mit deutlich verbesserter Armhebung und weniger Schmerzen. Der Bauchraum stand in dieser Behandlung aber nicht mehr im Vordergrund, denn ein kurzes Anbehandeln zeigte in dieser Behandlung keine weitere Verbesserung. Die schulternahen Befunde traten in den Vordergrund. So behandelte ich die faszialen Störungen und die sternocostalen Gelenke. Neu in der zweiten Behandlung als Befund fand ich eine Dysfunktion des N. suprascapularis rechts. Ihn behandelte ich ebenfalls. Am Ende der Behandlung hatte sich die hohe Armhebung wieder verbessert, diesmal so, dass das erreichbare Bewegungsausmaß keine Schmerzen mehr bereitete. Eine endgradige Einschränkung war weiterhin vorhanden, im Sinne einer kapsulären Einschränkung. Mit mobilisierenden Übungen entließ ich sie.

 Zum dritten Termin war noch eine Restsymptomatik von ca. 10% vom Ausgangswert vorhanden (Schmerz und Bewegungseinschränkung). Auch in dieser Behandlung standen nicht mehr die Organe im Vordergrund und auch nicht die Gelenkkapsel. Jetzt waren es muskuläre Störungen, die für die Restsymptomatik verantwortlich waren. Namentlich waren es Triggerpunkte im M. supraspinatus und M. levator scapulae und die Muskelansätze am Processus coracoideus, die hyperton waren. Nach der Behandlung dieser Strukturen zeigten sich noch die M. rhomboidei rechts schmerzhaft in Bewegung, dort gab es ebenfalls Triggerpunkte, die aber erst nach Detonierung der anderen Muskeln klinisch relevant wurden.

Es ist so, als lese man eine Geschichte rückwärts: Die älteren Störungen kommen später zum Vorschein, müssen aber unbedingt mitbehandelt werden.
So muss man seine Befunde immer wieder neu erheben und in Beziehung setzen zu den aktuellen Beschwerden. Und wie hier in diesem Fall, ändert sich das Beschwerdebild im Lauf einer Behandlungsserie. Solange die Richtung stimmt, nämlich kontinuierliche Verbesserung der Symptomatik, darf man sich nicht verunsichern lassen und weiter dran bleiben...sowohl Therapeut als auch Patient.

Eigenübungen wurden ergänzt durch Dehnungen mit und ohne Hilfsmittel der auffälligen Muskulatur. Eine Wiedervorstellung wurde vereinbar