Brustwirbelsäulenschmerzen bei Reflux mit Sodbrennen
Ich möchte Ihnen von einer meiner Patientinnen berichten, die seit Januar 2015 in meiner Praxis in unregelmäßigen Abständen zur Behandlung erschienen ist. So wie es für mich üblich ist, habe ich eine Anamnese erstellt, auf der ich die nachfolgenden Behandlungen gestützt habe. In organischen Bereich, und darauf soll es hier ja ankommen, gab die 65jährige Dame keine Vorerkrankungen oder akuten Krankheiten im Januar 2015 an. Ihr Konsultationsgrund zum Erstbesuch war parietaler Art, die Behandlungen in einer ersten Serie erstreckten sich auch auf den Bewegungsapparat. Im Oktober 2016 bat sie erneut um einen Termin. Ihre zu diesem Zeitpunkt akuten Beschwerden bezogen sich auf die Brustwirbelsäule. Sie hatte seit ein paar Wochen im Bereich der Wirbelsäule auf Höhe BWK 5-7 bohrende „tief innen“ liegende Schmerzen auf der linken Seite paravertrebral. Ihre nähere Beschreibung ist typisch für diese Art von Schmerzen. Sie sagte, es fühle sich so an, als müsste es mal richtig knacken und dann sei alles wieder gut...tat es aber nicht. Weiterhin beschrieb sie, dass sie selbst sich an dem Türrahmen auf der besagten Höhe fest hineindrücke, dann ließe der Schmerz nach...verschwand aber nicht vollständig und kam nach einer kurzen Zeit wieder in alter Stärke zurück.
Diese Art von Schmerz und wie er von vielen Patienten beschrieben wird, ist kein Schmerz, der vom Bewegungsapparat ausgeht. Er schlägt sich zwar dort nieder, reagiert auch auf parietale Behandlungen in der aktuellen Behandlungssituation gut, so dass man die Patienten mit Erfolgserlebnis nach Hause entlassen kann, die Schmerzen treten aber schnell wieder auf und persistieren über Wochen und Monate ohne sich groß zu verändern. Sie verschlechtern sich allerdings auch nicht. Die beschriebene Art von Schmerzen ist typisch für einen viszero-somatischen Reflexschmerz, d.h. ein Organ ist die Ursache für diesen Schmerz. Reflektorisch werden viszerale Afferenzen auf Rückenmarksebene verarbeitet und ein Hypertonus der segmentalen Muskulatur wird erzeugt. Oder diese Schmerzen sind Ausdruck einer Headschen Zone, wie man sie von verschiedenen Organen kennt. Das Stichwort hier wäre „Fortgeleiteter Schmerz“.
Die körperliche Untersuchung ergab außer einem schmerzhaften umschriebenen Bezirk von etwa 8x8cm auf Höhe BWK 5-7 paravertebral links keine weiteren Befunde im Bewegungsapparat. Wenn man einmal von verschiedenen altersentsprechenden Bewegungseinschränkungen in diversen Abschnitten des Bewegungsapparates absieht, die aber allesamt kompensiert waren und keinerlei Beschwerden hervorgerufen haben. Und dabei belasse ich es dann auch. Ist der Körper in Kompensation, besteht weitgehende Beschwerdefreiheit. Nun darauf zu bestehen, dass man z.B. eine HWS wieder zu einer Beweglichkeit wie mit 20 verhilft, weil dies eventuell die BWS-Schmerzen triggern könnte, ist nicht meine Herangehensweise.
Aus Erfahrung wusste ich nun, dass bei Ausschluss einer parietalen Ursache, wie z.B. einer akuten Wirbelsäulenblockade, die geschilderten Schmerzen im viszeralen ihre Ursache finden konnten. Die Höhe der Schmerzen auf BWK 5-7 lassen Rückschlüsse auf die Organe zu. Geht man von einem viszero-somatischen Reflex aus, so fragt man sich, welche Organe werden aus den Segmenten BWK 5-7 sympathisch versorgt, denn dieser Teil des Nervensystems wird auf Rückenmarksebene mit dem somatischen Nervensystem verschaltet und führt dann zu dem oben erklärten Hypertonus segmental. Die in Frage kommenden im Falle meiner Patientin waren also Herz, Lunge, Laber, Magen, Gallenblase. Um die Auswahl einzuengen, konzentrierte ich mich zuerst auf den Thorax. Fasziale Organtests führten zu keinem Befund, der sich mit den Schmerzen in Verbindung bringen ließ. Im Abdomen zeigte die Leber einen dezenten osteopathischen Stau, der Magen eine viskoelastische Störung. Nichts Gravierendes, aber immerhin mit einem möglichen Zusammenhang zu den Beschwerden. Ich provozierte selbst und ließ meine Patientin selbst an der Schmerzstelle den Schmerz durch Druck provozieren. Dies als Kontrollbefund deklariert, behandelte ich zuerst die Leber entstauend und kontrollierte dann den Magen, ob die viskoelastische Störung sich verbessert hatte. Hatte sich nicht. Dann behandelte ich den Magen viskoelastisch. Das dauerte etwa 10 Minuten. Danach war der Kontrollbefund signifikant besser, nur noch etwa 20 % des Ausgangsschmerzes war wahrnehmbar. Das machte mich stutzig und ich erkundigte mich, ob sie Probleme mit ihrem Magen hätte. Sie verneinte. Nach kurzer Zeit sagte sie dann aber, dass sie vor Jahren schwer mit Sodbrennen zu tun gehabt hätte. So schlimm, dass sie nachts nicht vernünftig zur Ruhe gekommen sei, weil der Reflux und das Brennen im Brustkorb so ausgeprägt gewesen sei. Sie musste für eine paar Monate einen Säureblocker nehmen, den sie, nebenbei bemerkt, jetzt nur noch bei Bedarf, oft am Wochenende nehme. Sie vertrage immer noch nicht gut Alkohol, scharfe Speisen, Ingwer. Eine Magenspiegelung ist seiner Zeit nicht durchgeführt worden, weil sich das Sodbrennen und das retrossternale Brennen unter der Medikation rückläufig bis zum fast völligen Verschwinden entwickelt habe. Das war alles neu für mich. In meiner Eingangsanamnese im Januar 2015 gab sie keinerlei organische Vorerkrankungen an und auch keine Nahrungsunverträglichkeiten. Zum Zeitpunkt der Behandlung hatte sie schon längere Zeit keinen Reflux mehr gehabt.
Zwei Dinge möchte ich dazu anmerken. Hätte ich in der Erstanamnese detaillierter fragen können? Sicher, kann man immer. Vielleicht hätte sie mir dann von ihrem vergangenen Reflux erzählt. Viel verloren habe ich allerdings nicht, denn die Erfahrung hat mich zum Oberbauch geführt und schließlich zum Magen. Ich erlebe das aber trotz allem häufiger, dass Patienten sich nicht ihre gesamte Krankheitsgeschichte merken können, ich übrigens auch nicht. Wozu auch, ist ja alles gut gegangen. Erst in eindeutigen assoziativen Situationen kommt die Erinnerung wieder.
So hatte ich einmal einen Patienten (Ende 40), der im Bereich des unteren Rippenbogens rechts einen einschießenden hellen Schmerz hatte, der eindeutig aus dem Abdomen zu kommen schien, der aber nicht an ein Organ zu binden war. Auf die Nachfrage, ob denn dort in dieser Region einmal irgendetwas Krankhaftes gewesen sei, verneinte er zuerst aber nach einer ganzen Weile kam ihm die Erinnerung, dass er als Kind mit dem Fahrrad gestürzt sei und sich den Lenker dort hinein gerammt hatte. Aus Angst vor seinen Eltern habe er zu Hause nichts erzählt. Es waren schlussendlich also Vernarbungen im abdominellen Bereich, die sich auf dieses Trauma zurückführen ließen. Eine Behandlung reichte damals aus für eine Restitutio ad integrum.
Ich führte die Magenbehandlung noch weiter fort, kümmerte mich dabei um die Zirkulation und führte eine Dehnbehandlung des Ösophagus aus. Der ursprüngliche Schmerz verschwand zu 95% in der Behandlung. Als „Hausaufgabe“ sollte sie eine Eigendehnung der Speiseröhre täglich ausführen. Zur zweiten Behandlung, 3 Wochen später war noch etwa 10% des Ausgangsschmerzen in der BWS vorhanden. Ein dritte Behandlung wurde nicht mehr vereinbart, sie sollte sich bei Bedarf melden.
Warum traten die Schmerzen ohne erkennbaren äußeren Anlass auf? Es ist bekannt, dass Magensymptome vermehrt im Herbst und Frühjahr auftreten. Schlüssige Gründe dafür gibt es bisher nicht, ich werde auch nicht anfangen darüber zu spekulieren. Der Magen war bei meiner Patientin eine Schwachstelle aus früherer Erkrankung, quasi eine Sollbruchstelle. Auch wenn sie akut keine Magenbeschwerden hatte, so zeigte sich doch der viszerosomatische Reflex in der BWS auf der dem Magen zugeordneten Höhe. Das ist immer wieder die Erfahrung, die ich in der Praxis mache. Auf die neuroanatomischen Verbindungen ist Verlass. Sie zu kennen eine ungemein hilfreiche Angelegenheit.