Ischialgie seit 10 Jahren
Eine 61jährige Frau konsultierte mich wegen "Ischias-Beschwerden". Sie hatte seit 10 Jahren fast täglich Schmerzen an der Rückseite des linken Beines. Die Schmerzen wurden durch alltägliche Bewegungen ausgelöst, so gab sie zum Beispiel an, dass sie sich nur dreimal nach einem Ball, den sie ihrem Hund beim Spazierengehen zuwirft, bücken muss, dann hat sie eine derartig starke Ischialgie und auch Rückenschmerzen, dass sie kaum noch aufrecht stehen kann. Sie war mit ihren Beschwerden mehrfach in therapeutischer Behandlung - ohne Erfolg. Bildgebende Verfahren wurden nicht durchgeführt. Sie ist eine schlanke sportliche Frau, die dreimal täglich je eine Stunde mit dem Hund rausgeht. Sie hat eine Teilzeitbeschäftigung mit wechselnder Tätigkeit.
In der osteopathsichen Befundung gab es nicht viele Auffälligkeiten. Es gab keine Dysfunktionen der Wirbelgelenke, keine viszeralen Befunde oder andere Bewegungseinschränkungen. Meine Patientin war eigentlich in einem sehr guten Allgemeinzustand. Auf die Frage, wo dieser Beinschmerz denn beginne, zeigte sie auf einen Punkt oberhalb des Beckenkamms links.
Im März 2016 erschien im World Journal of Othopedics ein Case Report von Yoichi Aota über die Einklemmung der Nn. clunii mediales bei ihrem Durchtritt durch die Ligg. sacroiliacalia posteriora. Die Nervi clunium sind Äste der Rückenmarksnerven, die für die sensible Innervation der Gesäßregion (Regio glutealis) verantwortlich sind. Es gibt sie als obere, mittlere und untere Gesäßnerven. Die Nn. clunii superiores entstammen den Segmenten L1-3, die Nn. clunii mediales et inferiores aus den Segmenten S1-3. In seinem Artikel beschreibt er, dass eine Einklemmung der superioren Äste dort, wo sie die Fascia thoracolumbalis durchbohren und über den Beckenkamm ziehen, möglich ist, ebenso wie eine Einklemmung der medialen Äste dort auftreten kann, wo sie unter oder durch die Ligg. sacroiliacalia posteriora verlaufen. Es wurde in dem beschriebenen Fall eine chirurgische Freilegung der Nerven durchgeführt, die zu Schmerzfreiheit bei der Patientin führte.
Diesen Fall habe ich im Kopf, wenn Patienten eine ungeklärte Lumboischialgie aufweisen. Die oberen Nn. clunii auf der linken Seite waren bei Palpation bei meiner Patientin sehr empfindlich, die Palpation löste einen starken lokalen Schmerz aus. Ich behandelte diese Nerven mit faszialen Techniken. Nach der Behandlung hatte sie keine Schmerzen mehr, was schon einmal ein gutes Zeichen ist und den Behandlungsansatz rechtfertigt. 14 Tage später kam sie zur zweiten Behandlung und hatte zwischenzeitlich kaum noch lumbale oder Beinschmerzen. Das war nicht der erste Fall in meiner Praxis, in dem die Nn. clunii die Ursache für eine Lumboischialgie sind. Die weitreichenden Ausstrahlungen der Schmerzen sind mit der Anatomie nicht zu erklären. Es handelt sich um ein empirisches Phänomen, das professionelle Beachtung erfahren sollte.